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Tobias Guarnerius Eine phantastische Künstlernovelle aus den Contes bruns
An einem nebligen Winterabende ging mein Urgroßvater, welcher sich Geschäfte
halber zu Bremen befand, in einem abgelegenen Gäßchen hinter der Kirche
spazieren. Was er dort suchte, werdet Ihr begreifen, wenn ich Euch sage, daß er
damals zwanzig Jahre alt war, und daß es wenige Städte in Deutschland gibt,
welche so hübsche Mädchen aufzuweisen haben, wie Bremen. Seit zwanzig Minuten
hatte die Turmuhr schon die Stunde des Stelldichein geschlagen, ohne daß
diejenige, welche sie bestimmt hatte, erschienen wäre, und mein Urgroßvater
wartete.
Während er so in der Straße hin und wider ging, bemerkte er an der Ecke
derselben einen Laden, worin die an den beiden Seitenbalken schlecht aufgemalten
Geigen das Handwerk anzeigten, welches darin getrieben oder vielmehr nicht
getrieben wurde; denn wenn im Laden selbst an der Wand nicht ein altes
Violoncello gehangen, in der Ecke ein Contrabaß ohne Saiten gestanden und einige
Geigenbogen herumgelegen wären, so würde die Boutique eher einer Wachstube als
einem Instrumentenmagazin geglichen haben. Eine schlechte Talgkerze auf einem
ungeheuern hölzernen Leuchter verbreitete nur ein spärliches Licht und
beleuchtete nur matt den Mann, der darin arbeitete. Er schien überhaupt nicht
sehr fleißig bei seiner Arbeit zu sein; denn fast alle drei bis vier Minuten
stand er auf, legte die Arbeit nieder und ging mit großen Schritten, starren
Blicken und leidenschaftlichen Gebärden umher, wie ein Mann, den eine tiefe Idee
beschäftigt.
Teils aus Neugierde, teils auch um dem Schnee zu entgehen, der in dichten
Flocken fiel, trat mein Urgroßvater in den Laden, und obschon er in seinem Leben
keine Note gelernt hatte, ersuchte er doch ihm einige zum Verkaufe bestimmte
Geigen zu zeigen.
«Geigen?» antwortete barsch der Instrumentenmacher, «Sie sehen wohl, daß ich
keine zu verkaufen habe, wenn Sie aber den alten Contrabaß dort haben wollen,
den ich als Bezahlung für ausgebesserte Instrumente annehmen mußte, den lass'
ich Ihnen für 10 Taler — für 8 ohne zu handeln».
Mein Urgroßvater bedankte sich schönstens, allein er bekam Antworten, welche
ihn glauben machten, daß es in dem Kopfe des Instrumentenmachers nicht ganz
richtig sei, und er erhielt volle Überzeugung hievon, als eine alte Frau, welche
aus dem Nebenzimmer kam, ihm durch Zeichen zu verstehen gab, daß der arme Mann
nicht bei gesundem Verstande sei.
Mein Urgroßvater verließ dann den Laden und am andern Morgen Bremen, ohne
sich weiter um den Mann zu bekümmern.
Drei Jahre nachher, als er Bremen wieder besuchte, fand er die Boutique
geschlossen und auf den zugemachten Fensterladen große rote Kreuze
aufgezeichnet. Dieser Umstand erregte seine Aufmerksamkeit, und des Abends
sprach er mit seinem Gastwirte darüber. Dieser, der zugleich eine
Magistratsperson war, erzählte ihm folgende Geschichte:
«Dieser Mann, den Sie vor drei Jahren kennen gelernt haben», sprach er,
«nannte sich Tobias Guarnerius, und erhielt durch seine Arbeit nur mit Mühe sich
und jene alte Frau, welche Sie bei ihm gesehen haben. Es war seine Mutter,
welche seit dem Tode seines Weibes bei ihm lebte. Da er in der Stadt der einzige
Instrumentenmacher war, und da es hier viel Musikkünstler und Liebhaber gibt,
welche ihm immer Arbeit gaben, so würde er wohl besser haben leben können.
Allein zehn Jahre vor jener Zeit, von welcher wir sprechen, ward er einer fixen
Idee zum Raube, welche er stets verfolgte, so viele Opfer er ihr auch bringen
mußte.
Sein Weib, welches aus Gram darüber starb, daß sie sehen mußte, wie er die
Frucht seiner Arbeit so unnütz verschwendete, versuchte öfters ihm Vorstellungen
zu machen und beschwor ihn, sich und sie nicht in das Elend zu stürzen; allein
alles vergebens. Sein Erspartes, dann einige entlehnte Summen Geldes, endlich
seine Meubles und seine Kleider, alles verschlang seine fixe Idee, ohne daß er
fand, was er suchte. Auch selbst dann, als ihm die Mittel ganz fehlten seine
Arbeit fortzusetzen, verlor er demungeachtet die Hoffnung nicht, entweder früher
oder später zum höchsten Ruhme zu gelangen und den Lohn für alle seine Opfer zu
ernten.
Er besaß eine Violine von Stradivarius, wofür ihm Kenner ungeheure Preise
boten; da kam ihm der Gedanke, das Verfahren dieses großen Meisters nachzuahmen.
Er meinte, wenn er ein gleiches Holz verwende, die Gestalt und Dimensionen mit
der strengsten mathematischen Genauigkeit wiedergäbe, auch selbst die nämliche
Farbe und den nämlichen Firnis anwenden würde, auch die musikalische Wirkung
dieselbe werden müßte. Allein ungeachtet aller Sorgfalt, welche er bei seiner
Nachahmung anwandte, entdeckte sich doch immer eine Verschiedenheit zwischen der
Copie und dem Original. Dieses blieb immer das bei weitem vortrefflichere.
Endlich gelang es ihm ein Instrument zu verfertigen, welches seinem Vorbilde
so ganz gleich war, daß man keinen Unterschied zwischen beiden entdecken konnte,
allein siehe da! eben dieses war dem Tone nach gerade das schlechteste von
allen. Da sprach er betrübt zu sich selbst: Wer weiß, ob das, was ich suche,
nicht außer dem Materiellen liegt. Worte stellen Begriffe dar, ich glaube daher
nicht zu irren, wenn ich den Ton die Seele des Instrumentes nenne.
Ein Musiker, welcher ihm einen Geigenbogen zu behaaren gebracht hatte, ließ
eines Tages ein Buch bei ihm liegen, welches er längere Zeit nicht
zurückforderte; Tobias las darin. Es war eines jener Monumente der deutschen
Gelehrsamkeit und Geduld, worin der Autor alles Wissenswerte zusammenkaufte.
Neben einem Kapitel ›über die beste Regierungsform‹ fand sich ein anderes
›Gurken in Essig einzumachem, - einer ›Anleitung Cyperwein zu machen‹ folgte
eine ›Dissertation über die 11.000 Jungfrauen‹ und eine ›Lobrede über die
Kahlköpfigkeit‹. Es herrschte in dem Buche ein Ton von Gutherzigkeit, welcher
unsern Tobias außerordentlich anzog.
Plötzlich beim Umwenden eines Blattes stieß er auf ein Kapitel, betitelt:
›Über die Seelenwanderung‹. Beim Anblicke dieses Titels fuhr er mit einem
Rundsprunge empor, rief seine Mutter, welche er bat im Laden zu bleiben, und
wenn jemand um ihn frage, zu sagen er sei ausgegangen, dann schloß er sich in
seine Kammer ein, um das Kapitel ungestört lesen zu können.
Allein es war nur eine elende Rhapsodie aus hundert und einem Buche
zusammengetragen. Nach langen Umschweifen, Citationen schloß endlich der Autor
mit der funkelneuen Entdeckung, daß die Seele des Menschen unsterblich sei.
Allein Tobias hielt sich fest an den Titel und er fing an sich die Seele als
eine bewegliche Substanz vorzustellen, welche mit ihrer belebenden Kraft von
einem Orte zum andern übertragen werden könne. Von diesem Augenblicke an war
dies seine fixe Idee, mit deren Hilfe er nun seinen Zweck zu erreichen
hoffte.
Drei Monate nachher bei Nacht, wo die ganze Stadt Bremen schon im tiefen
Schlummer lag, war die Arbeitsstube des Tobias Guarnerius sorgfältig
geschlossen, und aus Furcht, ein Vorübergehender könnte durch die Ritzen der
Fensterladen noch Licht erblicken, war vor der Glastür, welche von dieser Stube
in das Magazin führte, ein doppelter Vorhang vorgezogen.
Diese Vorsicht war wirklich nicht überflüssig; denn es war eine sonderbare
Arbeit, womit sich Tobias beschäftigte.
Auf einem alten Bette von rotem Damast, auf welchem ihn seine alte Mutter vor
vierzig Jahren zur Welt gebracht hatte, lag diese sterbend. Tobias aber stand
über ihre Brust gebeugt, aus welcher dumpfes Röcheln ertönte, ohne ein Zeichen
des Mitleides und der Teilnahme, ohne eine Träne im Auge, welches starr auf der
Sterbenden haftete. Er schien von der Ahnung eines feierlichen Augenblickes
ergriffen, ein sonderbarer Apparat schien das Bett mit dem Tische, welcher
daneben stand, und auf welchem eine unvollendete Geige lag, in Verbindung zu
bringen. Eine Röhre aus Vermischung mehrerer Metalle geformt, und am Ende
trichterförmig auslaufend, stand vor dem Munde der alten Frau und nahm ihren
Atem auf, welcher bei jedem Atemholen mit dumpfem Tone darein sich verlor. Am
ändern Ende war die Röhre in einen hölzernen Stimmstock eingefügt, gleich
demjenigen, der sich bei allen Saiteninstrumenten zwischen dem Boden und dem
Bauche befindet, nur hatte dieser einen größeren Durchmesser und statt von Holz
zu sein, war er hohl und mittelst eines Schraubendeckels hermetisch zu
verschließen, wenn die Mündung der Röhre davon getrennt wird. Genau über dem
Punkte der Vereinigung des Holzes mit dem Metalle, und um das Evaporieren im
Augenblicke ihrer Trennung zu verhindern, war eine Art Büchse von Tannenholz
angebracht.
Um 1 Uhr 52 Minuten und einige Sekunden hatte das Atemholen der Kranken
gestockt, ihr Puls und ihr Herz hatten aufgehört zu schlagen, plötzlich vernahm
man in der Röhre, welche wie durch eine galvanische Kraft bewegt wurde, einen
langen Seufzer und ein Zittern verbreitete sich durch das ganze Metall, bis es
endlich in der angehängten Büchse aufhörte. Bei diesem Geräusche stieß Tobias
mit stieren Augen und schnaubender Brust die leitende Röhre zurück und mit
toller Heftigkeit schraubte er ungeachtet eines außerordentlichen Widerstandes,
den er fühlte, den Deckel an. Auf diese Art schloß Tobias Guarnerius die Seele
seiner Mutter in den hohlen Stimmstock ein.
Als dieses alles geschehen war, fiel Tobias erschöpft und bewußtlos zur Erde
und blieb daselbst ohne Besinnung liegen, bis es schon Tag geworden war. Als er
erwachte, fühlte er sich bis zum Tode ermattet und hatte große Mühe seine Ideen
zu sammeln und sich Rechenschaft über das Vollbrachte abzulegen. Er näherte sich
dem Bette, auf welchem der Leichnam seiner Mutter noch bleich und kalt lag. Er
drückte ihr die noch offenen Augenlider zu, damit ihr starrer Blick dem seinigen
nicht begegne, dann bedeckte er den Leichnam ganz; denn es ergriffen ihn Furcht
und Grauen.
Bei der Beerdigung der irdischen Überreste von Tobias' Mutter sollen sich
wunderbare Dinge begeben haben, wie Augenzeugen erzählen; jedesmal, wenn der
Priester in seinem Gebete von der Seele der Verstorbenen sprach, erloschen die
Lichter, welche um den Sarg brannten, von selbst. Zeuge dieses Wunders und von
Gewissensbissen gequält, hatte Tobias noch nicht gewagt, sein nun vollendetes
Instrument zu versuchen, und doch waren wunderbare Töne darin verborgen; denn
wenn auch nur die Luft darüber streifte, so hauchte es Seufzer von unglaublicher
Lieblichkeit aus.
Indessen hatte sich in der Stadt schon das Gerücht verbreitet, Tobias
Guarnerius habe endlich das Geheimnis, welches er so lange suchte, gefunden, und
täglich besuchten seine Werkstätte eine Menge von Musikern und Liebhabern, um
die wunderbare Violine zu sehen. Sie mußten aber alle unbefriedigt sich wieder
entfernen; denn Tobias gab vor, sein Werk sei noch nicht vollendet.
Bald nachher geschah es, daß der Thronerbe eines kleinen Fürstentums Bremen
besuchte. Die Vorsicht hatte ihm auch das Talent eines großen Violinspielers
verliehen, in ganz Deutschland war dies bekannt. Der Bürgermeister von Bremen
beeilte sich, dem hohen Gaste eine musikalische Abendunterhaltung zu
veranstalten und ließ den Tobias benachrichtigen, daß es ihm angenehm sein
würde, bei dieser Gelegenheit sein Instrument auf die Probe gestellt zu
sehen.
Dieser Auftrag verscheuchte alle Zweifel des Tobias und er schickte an dem
bestimmten Tage das Instrument in einem Futterale, wozu er den Schlüssel bei
sich behielt, und hoffte den berühmten Stradivarius und alle Meister seiner
Kunst verdunkelt zu haben.
Zur bestimmten Stunde, in welcher sich die Gäste versammelten, wurde auch
Tobias in den Salon des Bürgermeisters eingeführt. Er machte in seiner fast
antidiluvianischen Tracht und mit seinen linkischen Manieren eine seltsame und
lächerliche Figur; wenn man ihn dann in einer Ecke sitzen sah mit bleichem
Gesichte, das Auge ängstlich auf den Virtuosen geheftet, welcher seiner
Schöpfung Töne geben sollte, da sah er wohl eher bedauernswürdig als lächerlich
aus.
Es ist unmöglich den Eindruck zu beschreiben, welcher die ganze große
Versammlung bei den ersten Bogenstrichen ergriff; die gefangene Seele klagte so
erbarmungswürdig, daß einige versicherten, es war ihnen zu Mute, als ob sie von
der Erde emporgehoben wären, für andere waren die Töne so eindringlich, daß ihre
Nerven zu zittern anfingen. Das Außerordentlichste aber war das sympathetische
Gefühl, das alle Seelen der Anwesenden bei den Trauertönen dieser Seele ergriff
und sie zu Tränen rührte. Nicht der Schmerz einer Mutter über den Tod ihres
einzigen Kindes, nicht jener einer verlassenen Geliebten, nicht der Schmerz
eines Künstlers, wenn er sein Werk zu Grunde gehen sieht, können einen Begriff
von den bittern Klagen dieser Seele geben, welche über die Zeit ihrer Bestimmung
von der ewigen Ruhe zurückgehalten wurde. Niemand, selbst nicht jener Mann,
welcher den Bogen führte, konnte sich auch nur einer Note von jener Melodie
erinnern, welche die Geige des Tobias gespielt hatte. Niemand wußte, ob das, was
er gehört hatte, wirklich ein Tonstück oder vielmehr eine Geschichte, erzählt
von einem sublimen Poeten, sei, worin mit bewunderungswürdiger Kunst alle
Qualen, alle Ängstlichkeit, alle Traurigkeit des menschlichen Lebens ausgemalt
war, darin waren aber alle einstimmig, daß sie nie und nirgends eine Harmonie
hörten, welche so tief auf sie wirkte.
Als das Musikstück zu Ende war und die Zuhörer zu sich selbst gekommen waren,
wendeten sich alle Blicke auf Tobias Guarnerius. Für diesen waren die Töne nicht
Klagen, sondern Vorwürfe; dennoch überwiegte das Entzücken, sein Problem endlich
gelöst zu sehen, alle übrigen Gefühle, er warf ich auf seine Kniee, hob die
Hände gegen Himmel und Freudentränen rollten über seine Wangen. Erst nach
einigen Minuten sammelte er sich und bemerkte, daß ihn der fremde Prinz beim Arm
faßte und ihn fragte, ob er ihm seine Violine für 1000 Taler überlassen wolle.
›Meine Violine! für 1000 Taler?‹ antwortete er mit einem Lächeln. ›Sie setzen
also einen Preis für etwas, das nie existierte und nie mehr existieren wird? Sie
wollen die Schöpfung kaufen? Wie viel würden Sie wohl für die Sonne zahlen, wenn
sie auf dem Markte zu haben wäre? Meine Violine ist nicht zu kaufen und mein
Ruhm wird unsterblich sein, dieses genügt mir.‹
Der Prinz war nicht der Mann, sich durch Hindernisse besiegen zu lassen. Er
zog aus seiner Brieftasche 1200 Taler in Banknoten, breitete sie auf den Tisch
aus, legte noch eine volle Börse mit Gold dazu und sprach: ›Nehmt alles dieses
für Eure Violine, Meister!‹ Bei dem Anblicke dieser Schätze verschwand der Stolz
des armen Tobias, der in seinem Leben noch nicht so viel Geld beisammen gesehen
hatte, seine kindliche Liebe, seine Künstleransprüche, alles verschwand, gierig
übersah er die Summe und sprach: ›Weil Sie durchaus so wollen, wohlan, so sei
der Kauf geschlossen und ich gebe Ihnen sogar das Futteral und den Schlüssel
noch mit in den Kauf, nur sage ich Ihnen, daß ich für meine Ware in der Zukunft
nicht bürge und wenn Sie nicht genau darauf acht haben und etwas daran verdorben
würde, ich mich keiner Ausbesserung und Wiederherstellung unterziehe.‹
Der Prinz nahm alles an, ließ die Violine in das Futteral schließen und
befahl seinem Kammerdiener sie in seine Wohnung zu tragen und brachte dann den
Rest der Nacht fröhlich bei dem Gelage zu, welches der Bürgermeister glänzend
servieren ließ.
Tobias begab sich nach Hause und wiegte sich einen Teil der Nacht in seiner
Hoffnung auf unsterblichen Ruhm. Den andern Teil fand er sich selig in dem
Gedanken, jetzt ein reicher Mann zu sein; 15.000 Taler, genau gezählt, waren nun
sein Eigentum. Er zählte die Goldstücke wohl zehnmal, und nachdem er die Lampe
ausgelöscht hatte, ließ er sie noch zwischen seinen Fingern hin und her rollen;
so tat er bis 3 Uhr morgens, wo er endlich entschlief.
Am andern Morgen erwachte er früh und es war ihm wie einem Menschen, der bei
Wein und Schmaus betäubt eingeschlafen ist; er fühlte seinen Kopf schwer, den
Geist ermüdet und das Herz unbefriedigt. Ein Gedanke beherrschte ihn vor allen
ändern: er hatte die Seele seiner armen Mutter nicht nur zurückgehalten und
eingesperrt, sondern sogar verkauft. Der Käufer konnte nun zu jeder Stunde, wo
es ihm gefiel, sie zwingen zu singen, er konnte sie an einen ändern verkaufen,
sie überall mit sich führen und wie der Psalm sagt, seinen Fußschemel daraus
machen. In diesen quälenden Gedanken war Tobias versunken, als ein Diener des
Bürgermeisters bei ihm eintrat. Tobias kannte ihn recht gut, er war in seiner
Jugend der Geliebte seiner Mutter und er würde sie auch geheiratet haben, wäre
er nicht zum Soldaten genommen worden. Als er nach seiner Capitulationszeit
zurückkam und Brigitten verheiratet fand, wandelte seine Liebe sich in innige
Freundschaft um, und Brigittens Gatte, welcher seiner Frau volles Vertrauen
schenkte, sah es gerne, wenn er sie oft besuchte, es schloß sich ein festes
Freundschaftsbündnis zwischen den dreien und der Mann hatte den jungen Tobias
oft auf seinen Knieen geschaukelt. Am Abende des Concertes hatte auch er die
Violine gehört, aus welcher Brigittens Seele seufzte, und ihre Stimme erkannt;
denn die wahre Liebe vergißt nicht und eben so hatte Brigitte geklagt, als er
sie einst verlassen mußte. Er kam also um Tobias zu fragen, wie sich denn dies
Wunderbare ereignen konnte. Tobias war verlegen, stotterte einige
unzusammenhängende Worte und versuchte endlich die ganze Sache zum Scherze zu
drehen, aber der Greis ging achselzuckend von dannen und vermutete ein
schreckliches Geheimnis darunter.
Tobias wurde dadurch in noch größere Angst versetzt; denn er fürchtete, daß
sich auch die weltliche Gerechtigkeit in die Sache mischen könnte. Er nahm am
Ende sein Geld und ging zu dem Prinzen, um den Kauf rückgängig zu machen. Sein
fester Entschluß war, die Geige, sobald sie wieder in seiner Gewalt wäre, zu
zerbrechen und die arme Seele in Freiheit zu setzen. Allein der Prinz war schon
abgereist. Tobias, welcher das Gewicht jener Schuld nicht länger tragen konnte,
nahm sich einen Platz auf dem Postwagen, um sich nach der Residenz des Prinzen
zu begeben. Er langte dort an, aber zwei Tage vergingen, bevor er zur Audienz
gelassen wurde, und dann erfuhr er, daß die Violine bereits in ändern Händen
sei. Der Prinz hatte nicht darauf spielen können, ohne daß sein Nervensystem in
die fürchterlichste Zerrüttung kam. Sein Arzt hatte erklärt, daß der
durchdringende Ton des Instrumentes daran Schuld trage und der Prinz habe sie
daher an einen italienischen Virtuosen verkauft, der damit nach Paris gezogen
sei, um daselbst Concerte zu geben.
Alsogleich machte sich Tobias auf den Weg dahin und als er dort ankam, lockte
ihn keine Merkwürdigkeit der Hauptstadt, er suchte nur so schnell als möglich
die Wohnung des Signore Ballondini zu erforschen. Er erfuhr sie bald; denn Dank
sei es seiner Geige, der Virtuose hatte sich durch sein Concert schon einen
außerordentlichen Ruf gegründet, und alle öffentlichen Blätter sprachen nur von
seinem Talente und dem wundersamen Tone seines Instrumentes. Alsogleich eilte
Tobias nach dem bezeichneten Hause und traf dort eben eine Viertelstunde später
ein, als Ballondini nach Italien abgereist war. Tobias folgte ihm auch
dahin.
Man würde kein Ende finden, wollte man alle Hände und alle Orte nennen, in
welche die verhängnisvolle Violine kam. Auch diejenigen, welche die stärksten
Nerven besaßen, konnten sie nicht über einen Monat behalten, und doch fand sich
immer ein Käufer dafür, ohne daß ihr Preis sich verminderte. Durch ganze zwei
Jahre folgte ihr Tobias durch alle Länder und kam endlich nach vielen
Beschwerden nach Leipzig. Diesmal kam er nicht zu spät, und das Instrument
befand sich wirklich in den Händen desjenigen, den man ihm als Besitzer nannte.
Allein, obwohl er während seiner langen Reise so sparsam war als möglich, seine
Börse war doch erschöpft und er besaß nur mehr wenige Louisd’ors. Eine Handlung
zieht gewöhnlich eine zweite nach sich, und er wußte sich nicht anders zu
helfen, als mit dem Gelde, welches ihm übrig blieb, den Diener des Besitzers der
Geige zu bestechen. Dieser führte ihn bei Nacht in das Zimmer seines Herrn, wo
er das Instrument entwenden wollte.
Auch dieses gelang ihm nicht, der Diener hatte das Geld zwar angenommen, aber
alles seinem Herrn entdeckt. Tobias ward auf der Tat ertappt, arretiert und in
das Gefängnis geworfen. Sowohl die Vergangenheit als auch das Entsetzen vor der
Zukunft wirkten so mächtig auf ihn, daß er krank wurde und in das Hospital
gebracht werden mußte.
Er fühlte seinen Tod nahen und auch der Arzt machte ihm kein Geheimnis
daraus. Dies konnte ihm wohl die Hoffnung geben, der menschlichen Gerechtigkeit
zu entgehen, aber es führte ihn auch in die Hände der göttlichen Gerechtigkeit,
welcher er, das fühlte er wohl, noch eine größere Rechenschaft werde abzulegen
haben.
Eines Tages, es war ein schöner Herbstmorgen, fiel ein Sonnenstrahl auf sein
Bett und gab allem um ihn her ein freundliches und feierliches Ansehen, frischer
Wind schüttelte die Bäume unter seinem Fenster und die Vögel sangen fröhlich auf
den Zweigen. Es war so schön, so ruhig, so heiter, daß man fast hätte schwören
mögen, an einem solchen Tage könne niemand sterben. Der Anblick dieses
herrlichen Tages hatte seinen Geist zu dem Schöpfer erhoben und in sein Herz
fiel ein Hoffnungsstrahl auf die ewige Barmherzigkeit. In diesem Augenblicke
fühlte er den Mut einem Priester sein Geheimnis zu entdecken und der Geistliche
des Hospitals kam, sein Bekenntnis zu empfangen. Tobias brauchte lange und fiel
dann in eine völlige Bewußtlosigkeit. Der Priester sprach ihm Worte des Trostes
zu.
Da ertönte die schlechte Geige eines herumziehenden Musikanten vom
Spitalshofe herauf, der Priester ließ sich dadurch in seinen Gebeten nicht
beirren, aber Tobias setzte sich im Bette auf, seine Haare sträubten sich empor,
er horchte in der fürchterlichsten Angst, faßte den Arm des Priesters und rief
ihn heftig drückend: ›Hören Sie, ehrwürdiger Herr, hören Sie die Seele meiner
Mutter, die mich anklagt!‹ Hierauf fiel er in fürchterliche Convulsionen und gab
dann seinen Geist auf.
In dem Augenblicke als Tobias Guarnerius starb, hörte der Besitzer jener
wunderbaren Geige im Innern des Futterals Töne, als ob jemand über die Saiten
führe, er öffnete dieses und ein Luftzug fuhr ihm am Gesichte vorüber, alle
Saiten waren abgesprungen, der Stimmstock, welchen die Geigenmacher die Seele
der Violine nennen, war umgefallen und man hörte ihn im Innern des Instrumentes
herumrollen. Ein Geigenmacher ward mit der Reparatur des Instrumentes
beauftragt, allein als die Violine aus seinen Händen kam, hatte sie ihre
Vorzüglichkeit und vor allem ihren wunderbaren Ton verloren; dennoch blieb sie
noch immer ein bemerkenswertes Instrument.
Einige Monate nachher erfuhr man den Tod des Tobias Guarnerius in seiner
Vaterstadt Bremen; der Diener des Bürgermeisters, welcher bisher geschwiegen
hatte, ließ nun seinen Verdacht laut werden, und der Pöbel glaubte ihm,
versammelte sich in Haufen vor dem seit drei Jahren verschlossenen Laden, brach
denselben auf und drang in das Innere. Mehrere verdächtige Objekte, unter
anderen die Maschinerie, welche er bei der Geige angewandt hatte, und einige
Bücher mit fremden Charakteren geschrieben, fanden sich vor, und bestätigten den
Pöbel noch in seinem Wahn. Man machte Kreuze auf die Fensterbalken und niemand
hat seit dieser Zeit mehr Tobias’ Wohnung betreten; denn man sagt daß man öfters
des Nachts ein heftiges Gepolter darin vernehme».
So erzählte der Magistratsbeamte meinem Urgroßvater und setzte nur noch dazu:
«Ich meines Teils halte das Ganze nur für eine Erfindung des
Aberglaubens».
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